Silikonröhrchen deuten ein Boot an, im weichen Licht aus dem Podest gleitet es wie auf Wasser. Die verflochtenen Schläuchchen sind bei genauerem Hinsehen so wenig Boot wie ihr Nachbar an der Wand Gebirge. Das Licht lockt Berge heraus, oder Türme oder Landschaften Zweidimensional spielt den dreidimensionalen Part, und was wirklich als Körper da liegt, verdichtet sich zum Gemälde. „Tun wir doch, als ob aus dem Glas ein weicher Schleier geworden wäre, dass man hindurchsteigen könnte.“ Alice schlüpft durch den Wohnzimmerspiegel in eine neue Welt, die Gestalten, auf die sie trifft, erinnern sie an Bekannte, doch hinter den Spiegeln änderten sie ihre Form. Das getreue Einhalten der Genres, Skulptur oder Malerei, die klassische Arbeitsweise Öl auf Leinwand, tun so wie Alice, die kurze Zeit brav im Lehnstuhl sitzt, und sich gleich in ihr Spiel stürzen wird, die Wirklichkeit unter Zauber erfährt nur sie selbst.
Die Gallerie Capricorno in Bozen stellt eine Auswahl von Arbeiten vor, die der Bozner Paolo Profaizer in den letzten zwei Jahren entwickelt hat. Er ist wortkarger als die Heldin von Carroll. Wirklichkeit, Illusion und die Bereiche dazwischen faszinieren ihn, aber er will nicht Wörter damit beauftragen, seine Vorstellung mitzuteilen, er vertraut der Sprache der Zeichen, der Körper, der Farben. Turm, Berg und Landschaft sind, weil er Licht, Dunkel und all den komplexen Zwischenräumen der beiden nachspürt.
Am Beginn seiner Malerei standen die Erfahrungen der Metafisici. Das Thema der inneren Schauplätze – die Übergänge im Leben des Einzelnen, Verliebtsein, Wut, Glut, Ausgesetztsein oder Zweifel – spann Profaizer weiter, wobei er sich von den Bildern als Darstellung von etwas Realem immer weiter entfernte, Abstand nahm vom Übersetzen eines Zeichens in eine Bedeutung.
„Meine Malerei spielt mit dem Gegenständlichen“, und Freunde von Alice hinter den Spiegeln fügen hinzu, gegenständlich wie Goggelmoggel, Hasa oder das Einhorn.
Paolo Profaizer ist ganz bestimmt ein Visionär, aber darüber hinaus ist er ein Sensualist: ein Maler und nun auch ein Bildhauer, der in ganz einzigartiger und besonders intensiver Weise das eigene, tiefe Innere, alles was in seinem Unbewußten und Unterbewußten vor sich geht, bemerkt, hört und erforscht; er arbeitet alle Erfahrungen und ihre Wahrnehmung langsam aus sich heraus; diese erkämpft sich ihren Raum und wird Form, Farbe, Kraft, psychisches Licht und damit zu einem sichtbaren, spürbaren, hörbaren Etwas. Die intimen Impulse aufkommender Empfindungen, naher und ferner in der individuellen und zugleich in der kollektiven Seele sedimentierten Erinnerungen einschließlich der an den Mutterleib sind es, welche wie magisch in einer poetischen, lyrischen, grenzenlosen, ich würde gar sagen atmosphärisch-träumerischen, fabelhaften, aufsaugenden und alles umfassenden Raum-Zeit Ausdehnung zusammenlaufen. Die Maße der Werke (oft bis zu zwei Metern hoch) führen zu einem psychisch-physischen Identifikations- und Durchdringungsprozeß romantischer Prägung, so daß das Werk in seinem Autor (und seinem Beobachter) wirkt, der Autor es aber zugleich als Frucht begreift, als synthetische und synästhetische Erfindung der eigenen Erfahrung, die auf sensitiven Erscheinungen, Erwartungen, Verführungen, nächtlichen Visionen und Tagträumen gründet, welche dem phantastischen Nomadentum der Künstler eigen sind.
Es erscheinen Stimmungen, Verzauberungen, Verführungen des Denkens und der Vorstellungswelt sowie Gedankensprünge, zweideutige, oder besser vieldeutige Formen symbolischen Gehalts, aus deren innerem Pneuma Szenenbilder der Seele erwachsen. Wie kommt es, daß der nach außen so ruhige Profaizer, wie von sich selbst und seinen inneren Stimmen verschlungen und gefangen, versucht, die geheimnisvolle Entwicklung der psychischen Energie zu einer zweiten, leichten, durchsichtigen, konstruktiven, organischen, konzeptionellen und sinnlichen Materialisierung des tiefen ich und aller Alter Egos zu verwandeln, welche dann frei aufströmen, den ganzen Raum besetzen, wachsen, sich ausbreiten und eine phantastische, ursprünglich sicherlich erotisch-phantastische Form voller Lebens-, Zeugungs- und Lichtimpulse ausbilden. Sie krönen (Pulsioni, Il Teatro, Il Faro), dringen ein (La Prigione dei Sogni, Torrre di Luce) oder bilden Formen, die zu Metaphern einer Rückkehr zu den gedachten Ursprüngen und Archetypen werden, zum Szenenbild einer emblematischen, mal organischen (Rinascita), mal konstruktiven (La casa sull’ acqua) Erzählung, welche das bereits bekannte Thema der Häuser, der Wohnungen als Ort der Zuflucht, als Schutz, als Gemeinschaft von Werten und geheimen Ladungen der Seele wiederaufnimmt. Oder geht es doch um den strukturellen (Rivelazione), nun explizit sinnlichen (der Eisberg der Inespressi abissi, Il Tempio dell’amore) und immer vorhandenen Wunsch und Versuch, Ordnung und Maß, Farbe und Licht im tiefen Brunnen der Psyche darzustellen?
Bedeutsam für diese intime Vernarrtheit und immer neometaphysischere Atmosphäre ist die langsame, nachdenkliche Herstellungsweise der Gemälde Paolo Profaizers sowie die großen Formate, welche den entscheidenden Unterschied zwischen dem Kunstwerk uns seiner fotografischen Wiedergabe ausmachen. In der Regel erlaubt das Spiel mit den Proportionen, die Dimension des Werkes zu erfassen. Hier aber werden wir eines besseren belehrt, auch weil Profaizer die Arbeiten in seinem ersten Katalog ganz klein abgebildet hat, fast so klein wie Briefmarken, aber eben auf großen rechteckigen Seiten, so als ob er das Fernrohr umgedreht hätte, vielleicht um darauf hinzuweisen, daß die Werke zu bestimmten Augenblicken innerer Erleuchtung, intimer Blicke und Überraschungen gehören. Gemälde, die verzaubern wollen, damit man sie besser fühlen, besser erleben kann, wodurch sie Mitgefühl verbreiten. Immer wiederkehrende Elemente seiner jüngsten Jahre sind genau diese emotionalen Impulse, die an intime Metamorphosen der Erinnerung, des Kontakts, der Ansteckung knüpfen, welche so häufig von Funken, von sich im Raum bewegenden Glühwürmchen begleitet werden, deren Formen immer leichter, immer durchsichtiger, immer durchleuchteter werden und somit den Zusammenhang von innerer und äußerer Kontinuität, von materieller und spiritueller Welt, von voll und leer darstellen; im orientalischen Sinn des Leeren als Reinigung des Vollen, als fortwährendes Fließen von Energie, von Gedanken und Gefühlen, von Bewegung, von Transformation, von Metamorphose der Körper, die zu Wächtern und Tempeln des kognitiven Moments der inneren Erleuchtung werden (Häuser, Städte, Wälder, Eisberge, Netze, Stellwände, Kulissen).
Diese gibt dem Leben der täglich erfahrenen Selbstenthüllung Sinn. Daher scheint es richtig, die Malerei Paolo Profaizers als einen Verlauf zu definieren, einen Erkenntnisweg, eine praktische, ästhetische und zugleich ethische Disziplin auf dem Weg des Erkennens der existentiellen, spirituellen, authentischen und dauerhaften Werte als Errungenschaften einer persönlichen Vision des kreativen Denkens, fernab von den Turbulenzen der Gegenwart, in einer metaphysischen Dimension der Befreiung von der Last der harten, grauen ungeschliffenen Materie. Die großen Maße, das leuchtende Element, die volle lebhafte Farbe, die schwebenden Funken, die Vereinfachung bzw. Reduzierung der Volumina auf das Essentielle (weshalb er sich an die Skulptur wagt), sind genauso Elemente wie die Dreidimensionalität und die effiziente Vereinnahmung des Raumes als Gesamtinstallation unter Verwendung der technischen und visuellen Geräte, mit denen Profaizer die innere Welt so sehr erleichtert, daß diese gar keine Darstellungs- oder Ausstellungsräume mehr sind sondern zu Orten der freien Wiederentdeckung, der Neusensibilisierung der Vergangenheit werden. Cesare Brandi schrieb: “Die Vitalität einer Kultur beruht nicht auf dem, was sie an häufig fruchtlosem Neuem erschafft, sondern auf dem, was sie aus der Vergangenheit assimiliert und wach hält… die gesamte Kultur ist nichts anderes als eine Suche nach dem Sinn. Nach dem Sinn des Lebens zu fragen, ist nicht dasselbe, wie den Sinn eines Wortes zu ergründen: dem Wort geben wir die Bedeutung nicht, auch wenn es menschlichen Ursprungs ist und die Bedeutung gemeinsam mit dem Wort überliefert wird, selbst wenn es so alt ist, , daß die kühnste Etymologie nicht durchkommt. Aber der Sinn des Lebens ist etwas, was uns seit unzähligen Epochen vorausgeht und ist in der Morgenröte einer Vergangenheit verwurzelt, die älter ist als die Geschichte: sie ist wie eine verschlossene Tür zu der es keinen Schlüssel gibt. Diesen verschwommenen Sinn hat sich noch jede Epoche in ihrer Vergangenheit gesucht, entweder hat sie ihn rekonstruiert oder sie hat ihn auserwählt…”. (Cesare Brandi, Scritti sull’arte contemporanea, Einaudi, Torino,1976).
Profaizers Blick öffnet sich zum inneren Raum hin, stürzt sich aber in die Zukunft, auf das Aufflammen von Atmosphären voll konstruktiver Energie, mal gefroren und bedrohlich wie in Costellazioni, mal verbraucht und zerfetzt, wie das Boot (Principium), welches eine entfernte Metapher für den Sex, den Ursprung der Lebensreise, der Geburt ohne Wiederkehr ist. Hierher rührt das nostalgische Gedenken an den Mutterleib (als geschützter Raum des schwimmenden Eis) und an das Schweben (Riflusso) der sich ausbreitenden Erwartung. Wie die Zeit vor und nach der Geburt, die Zeit zwischen dem Sein und dem noch nicht Sein. In dieser ungewissen Zeit-Raum Dimension, dieser undefinierten Ruhe unbestimmter aber harmonischer Gleichgewichte, in diesem aufblendenden Licht und seiner Wahrnehmung versucht Profaizer Schiffbruch zu erleiden, um den Sinn des Lebens neu zu erfassen, wie bei einem Tauchgang voller Panik, den Schnitt, die Zäsur überwindend, welche unausweichlich die erinnerte Erinnerung an die Vergangenheit von der Erwartung des Zukünftigen in der Gegenwart trennt.
Der Turm von Babel, eine absurde Konstruktion, Ausdruck der Versuchung unendlich zu werden. Als ob in einer materiellen Dimension die Grenzen zwischen Realität und Transzendenz, zwischen dem Hier und dem Anderswo sich auflösen könnten. Er wird zum Spiel der Engel, genug um all die Pfeile anzunehmen, die da in den Himmel geschossen wurden und diese zurückzusenden, wie Tropfen von Blut, ausreichend um den Menschen glaubend zu machen sie hätten die Götter verletzt. Natürlich lässt die Strafe nicht auf sich warten
– eine der schrecklichsten – das Sprachenwirrwarr das, von diesem Moment an, es den Menschen unmöglich macht, sich wie bisher zu verstehen. Deswegen vielleicht ist der Turm von Babel das erste Zeichen der menschlichen Sprache, einer von allem Heiligen verlassenen Sprache. Neben anderen ist es Jacobo Tintoretto, der sich dieser Legende gewidmet hat: Der Turm erscheint als Spiralkonstruktion, wimmelt von Aktionen, eine Art gewaltiger Auswuchs der Erdoberfläche, riesig im Vergleich zur menschlichen Dimension (um es wie Bruno Zevi zu sagen). Ein Bild, das mit der Zeit zum Prototypen einer manieristischen Landschaft und gleichzeitig zu einer Landschaft der Erfindungen geworden ist.
In seinen letzten Werken hat Paolo Profaizer dieses antike Sujet aufgegriffen, eine der wichtigsten Arbeiten aus seinem, vor ungefähr zwei Jahren begonnenen, malerischen Zyklus: „Andere Orte“. Sein Turm ist eine Art metallische Konstruktion in Form einer Kugelhaube, gekrönt von einer Art Bunker mit langer rechtwinkliger Öffnung. Um das Gebäude herum: Gerüste, die sich um seine Flanken winden als ob sie es belagern wollten. (Die Bibel erzählt von sieben Treppen, die, eine über die andere gebaut, nicht ausreichten um die Spitze zu erreichen). Das fast blendende Licht, das vom Bildhintergrund kommt, teilt einen Teil des dunklen Himmels und spiegelt sich in den Rippen der überraschenden Konstruktion, von der Basis bis hin zur Spitze.
Eine Art High- tech- Konstruktion,komplett überstrahlt von einem Lichtstrahl, einem von oben, vom Himmel kommenden Laser gleich, der sich einbrennt ins Profil eines Baumes ohne Blätter. Ringsherum ist niemand – absolut niemand. Profaizer hat bis zu diesem Moment jegliche menschliche Figur, jegliche Lebensform ausgeschlossen aus seinen Kompositionen, so als ob er alle Dinge zurückführen wollte in die Stabilität, die Permanenz. Die Architektur ist in der Tat eine der wenigen menschlichen Ausdrucksformen die gleichzeitig auch Zeichen der Beständigkeit sind. Der Südtiroler Künstler hat in diesen Jahren nur Architekturen gemalt, zur Festigkeit konvertierte Landschaften also. Welchen Typ von Architektur? Zu Beginn kleine Dinge, deren Maß der fast Miniatur-Dimension der Bilder entsprach: klein und einfach, wie eine Kabine am Strand, eine fast kubische Fabrik oder das „Haus“, wie von Kindern gezeichnet, mit dreieckigem Dach mit rechteckiger Tür und ein bisschen Perspektive.
Um die Wahrheit zu sagen: in seinen Kompositionen gibt es seit jeher beunruhigende Details. Zum Beispiel in einer Serie von drei Werken aus dem Jahre 2002: Das Gebäude besteht einfach aus einer leeren Fassade mit einer winzigen Tür. Außergewöhnlich klein in der stumpfen Glätte der durchgehenden Oberfläche, ohne Fenster. Also nicht mehr ganz infantil, all dies. Nicht einmal mehr allzu inspiriert von seinen „Quellen“, dem Carrà der Zwanziger Jahre und Sironi. Wahr ist dass seine Formen alle elementar sind, aber diese Öffnungen sind nun wirklich zu klein, zu suspekt, um nicht doch etwas ganz Persönliches, etwas Metaphorisches zu erzählen. Ich will jedoch keine rein psychologische Interpretation der Arbeit von Profaizer suggerieren, ich beschränke mich darauf, zu beobachten, dass in seiner Arbeit sich Einfachheit und Elementares mit der Schwere des architektonischen Elements verbinden, im Sinne einer Isolation, einer wiederkehrenden Verschließung der Konstruktion gegenüber ihrer Umwelt. Der Künstler hat alles auf ein minimales Maß beschränkt, auf wenige Zentimeter malerischer Oberfläche, um den Kontrast zwischen den Elementen zuzuspitzen und um die „Botschaft“ hervorzuheben. Eben die „Botschaft“, oder besser, eine moralische Intention, bestimmt von einem Nachdenken über die Malerei, genauso wie von einer tiefen Vergeistigung, wie sie Paolo Profaizer seit seiner Kindheit eigen ist. Es geht, mit anderen Worten, um das Verhältnis von Raum und Licht, Leere und Fülle, Strafe und Erlösung. Es ist das Licht, ein gerichtetes, dramatisches, fast theatralisches Licht oder aber fast verschwommen, weich wie Baumwolle, welches über dieselben Gebäude streicht, über den Körper der Dinge. Das einzige Element, das diese Kompositionen von dem befreien kann, als was sie definitiv so zu bleiben erscheinen.
Das Licht ist die dynamische Kraft der Transformation, der Evolution. Nichts Naturalistisches, nichts Vorhersehbares aber immer wieder ein Hauch von Wiederauferstehung.
Im weiteren Vorangehen werden die Dinge komplizierter: das schimmernde Licht der ersten Bilder, welches mondlosen Nachtbildern inmitten einer Industrielandschaft entlehnt zu sein scheint, erweitert sich in eine fast taggleiche Helligkeit. An Stelle des bisher monochromen Charakters der Bilder erscheint eine größere Bandbreite an Farbigkeit, fast eine Lust zur Farbigkeit; die Einfachheit der Formen entwickelt sich hin zu einer fast feierlichen und artikulierten Dramaturgie. (Paolo Profaizer hat nie sein Interesse für das Szenisch – Theatralische versteckt). In dieselbe Richtung entwickeln sich die Formate: erst 35×35, dann 70×70, schließlich 100×100 und zuletzt 150×150 und noch größer. Mit anderen Worten: waren da früher leise Flüsterstimmen zu hören, so sind das heute Schreie. Der kleine ausgereifte Diskurs von Halbtönen, dieses sensible Tagebuch ohne Worte, hat sich verwandelt in eine Folge von sehr entschiedenen Statements, in wichtige Äußerungen, gesagt mit lauter Stimme.
In der Zwischenzeit hat sich Profaizers Architektur verwandelt hin zu den typischen Merkmalen des zeitgenössischen Destruktivismus. Im Besonderen in Richtung der mutigsten Arbeiten eines Frank O´Gehry. In den letzen Bildern, wie zum Beispiel in „Ascensione“ (Himmelfahrt) oder „La cittá addormentata“ (die schlafende Stadt) erscheinen Körper und Volumen der Gebäude mit einem klaren Bezug zum Guggenheim Museum in Bilbao und anderen Projekten des amerikanischen Architekten. Es geht hierbei nicht um wörtliche Zitate, um klar wiedererkennbare Details, sondern um eine Atmosphäre dieser Architektur zwischen Raumschiff und technologischer Maschine, von einer Plastizität und aufsehenerregendem Charakter ohne Beispiel. Im selben Moment fließend wie kontinuierlich : gewaltige Skulpturen, gewaltige perfekte Szenarien für einen Science Fiktion Film, eine Art Zukunft mit der wir schon leben. Profaizer, wie auch O`Gehry, spielen mit Pausen, mit formalen Unterbrechungen.
Seine Bildvorstellungen erscheinen wie eine Assemblage sich ständig und kontinuierlich verwandelnder plastischer Elemente. Es gibt da ein Bild aus dem Jahre 2002 in dem all dies schon deutlich wird: an einer Seite eines hohen Gebäudes ohne Öffnungen entwickelt sich ein spiralförmiges Volumen, eine Art Zylinder in sich selbst aufgerollt- ein poetischer Hinweis auf das erste Guggenheim des Frank Lloydt Wright. Als ob Profaizer alle Etappen der modernen Architektur in seinen Werken mit den Mitteln des Minimalismus der Zwanziger Jahre in Richtung einer immer chaotischer und komplexer werdenden Gegenwart nachvollziehen wollte.
Im Jahre 2003 malt er schon eine Reihe solch überraschender Konstruktionen, so zum Beispiel, ein zweiteiliges Bild, gewidmet, könnte man sagen, der Vorstellung des Turmes. Eines Turmes mit fast organischen Wölbungen, wie eine griechische Säule, auf einer Seite völlig offen, mit einer Art im Inneren verlaufender Treppe, eine Art schiefe Ebene, die sich bis zur Turmspitze fortsetzt. Es handelt sich um abenteuerliche Gebilde, für die sich ein Toyo Ito zum Beispiel interessieren könnte und von denen der Künstler selbst, in ihrer phallischen Dimension, als von etwas Erotischem spricht in. Phallisch nicht nur in ihrer aufreizenden Vertikalität, welche den ganzen Raum des Bildes einnimmt, sondern auch in ihrer Weichheit, im organischen Charakter ihrer Linien. Nichts weiter als ein subtiler Bezug. Einverstanden: ein Argument, welches fast unbeachtet bleiben könnte, welches allerdings in den jüngsten Arbeiten mehrfach aufgegriffen und variiert wird.
Auch in „Rinascita“ (Wiedergeburt), taucht erneut ein offener Turm auf oder in „Tempio dell´amore“ (Tempel der Liebe), welches wegen der Präsenz dieser phallischen Elemente ganz sicher den Surrealisten gefallen hätte. Da sind aber auch diese Faltungen, widersprüchlich und einladend zugleich, denen man ihren weiblichen Charakter nicht absprechen kann, die die Gesamtheit zu einer Art Eingang vervollständigen, einer winzigen, geheimen Schattenzone.
Diese Geheimhaltung, welche die Feierlichkeit und Würde der Gesamtatmosphäre kontrastiert, ist der zentrale Aspekt der Arbeit Profaizers. Der Künstler scheint unaufhörlich zur Beobachtung aufzurufen, dem Schein der Dinge zu misstrauen. Ein Aufruf, nicht an der Oberfläche hängen zu bleiben, denn das „Theater“ hält sich versteckt. Der wirkliche Wert ist im Kleinen, in Dingen und Handlungen die alltäglich und kaum signifikant erscheinen und intimst von uns erzählen.
Fast wie ein symbolisches Gleichnis, wie es Profaizer in seinen Schriften darstellt, in denen er immer wieder auf die Aspekte des Geistigen und Symbolischen zurückkommt. Ich zitiere hier einige Stellen: „eine Metapher der Möglichkeiten über die Oberfläche der Dinge hinaus zu schauen, die Wirklichkeit mit dem eigenen inneren Auge zu finden…Interpretation der zeitgenössischen Metropole, einem Ort der Gegensätze, zwischen, über aller Akzeptanz hinaus, Großem und unendlich Kleinem, zwischen Macht bzw. mehr noch Omnipotenz und Schwäche, Kälte und menschlicher Wärme“. Unnötig zu ergänzen, dass der Künstler das Kleine mit dem Menschlichen gleichsetzt und, nicht zufällig, identifiziert mit einem Baum, einem minimalistischem Element, inmitten von exzentrischen und machtstrotzenden Palästen. Der Baum, sagt er, eröffnet verschiedene Ebenen der symbolischer Lesbarkeit : „Die erste ist verknüpft mit der Vorstellung der Landschaft und trägt dazu bei, ein bestimmtes Subjekt erkennbar werden zu lassen, seine Proportionen zu definieren und den Ausgleich zu suchen, zwischen geschlossenen Formen und offenen Elementen des Gegensatzes. Die zweite Ebene ist poetischer Natur. In ihr kommt das Melancholische genau so zum tragen wie Introspektion und Zerbrechlichkeit. Die dritte Ebene basiert auf symbolischen Gleichsetzungen, welche diesem Element traditionell inne wohnen: Vermittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Vergangenheit und Zukunft, Geburt und Wiedergeburt, Tiefe und Zartheit der Seele.“
Insgesamt also, etwas sehr Intimes, Wertvolles in dem es dem Künstler um, wenn ich das so sagen kann, das Beste, das zutiefst menschliche (menschliche und göttliche) des Lebens geht. Ich will aber weiterhin auf dem besonderen Charakter dieses Baumes insistieren, der sich durch alle Bilder immer gleich hindurch zieht: Es handelt sich hier um eine schmächtige Kreatur, winterlich, spitz und zerbrechlich, um das Synonym der Einsamkeit, des eingenisteten Schweigens in all diesen Arbeiten. Auch der Baum wird zurückgeholt in die Bedingungen der Permanenz, er ist nackt, ohne Blätter, nichts Lebendiges ist an ihm und doch ist gerade er alles was bleibt vom Leben. Wo sind wir hingekommen? Ich versuche drei Szenarien aufzutun: Die Malerei Paolo Profaizers bringt uns zeitgenössisch in die Vergangenheit zurück, also in die Zeit kultureller Verwandtschaften, der Maler und der Motive, der Werte und der Genüsse; in der Geistesgegenwart des Künstlers, in seiner Zeit der progressiven und kontinuierlichen Erfindungen aber auch der Entdeckungen der eigenen Abgründe. Es ist die Zukunft einer post- atomaren imaginären Landschaft nach dem Verschwinden der selbstverständlichsten Formen des aktuellen Lebens, einschließlich vielleicht des Menschen. Profaizer: „hieraus ist eine Figuration entstanden, in der die Notwendigkeit des Sich-Ein-Fühlens in die Realität verschmilzt mit der Notwendigkeit den Bestrebungen Zeichen zu setzen, einen inneren Raum zu schaffen, um sich wieder zu finden.“ Und weiter: „ Vielleicht ist mein Bedürfnis danach, modern zu sein, ohne das Poetische zu opfern, die Widerspiegelung der Bestrebungen des heutigen Menschen, eingekeilt zwischen einem noch gereizteren Technikwahn und dem Wunsch sich der eigenen Zerbrechlichkeit und Sensibilität, zu stellen, den einzigen Dingen, die uns vor dem Austrocknen bewahren können.“ Auf der Suche nach dem Hoffnungsschimmer, dem Durchschlupf zum Universalen, finden die Künstler Carrá und de Chirico, Bosch und Max Ernst, protometaphysische Unterstellungen immer noch voller visionär – romantischer Kraft. Metaphysische Symbole genau aus souveräner Notwendigkeit von Stabilität, kristalliner Klarheit der Form, so wie ein Bezug auf das Verlorene, dem Halt einer idealen Welt. Einer Welt, die es vielleicht nie gegeben hat, wenn nicht im Theater, als Vorstellung. Auf genau dieser Vorstellung gründet Profaizer sein Verhältnis zur Vergangenheit, ein Verhältnis, in dem sich auf eine extrem aktuelle Art und Weise das Verhältnis von Zusammenstoß und Distanz im selben Moment widerspiegelt : Dank dessen all seine seltsam – schönen Landschaften entstanden sind, sehr persönlich in ihrer Monumentalität, intimer Strenge und in flüchtiger Melancholie, eine überzeugende und ambitiöse Version, um es mit Wenders zu sagen, „des Zustands der Dinge“ und des „Zustands der Kunst.“